Gespielt am: 31. August 2019
Die maraskanische Küste immer im Blick schippert die Seeadler gen Süden. Irgendwo dort unten, eingebettet in den tödlichen roten Dschungel, liegt die heilige Stadt Boran. Dieser Tage mit eiserner Faust von den Lakaien Helme Haffax‘ besetzt.
28. TRAvia 33 Hal, Maraskan, Boran, Kaschemme „Freies Königreich“
Nach solch einem Tag – das Praiosauge hat dabei gerade erst den Zenit überschritten – und besonders in diesem Moment die Aufzeichnung unserer Fahrt fortzuführen, bedeutet für mich eine Übung in Selbstbeherrschung. Andererseits hat das Schreiben es nie versäumt, mir innere Ruhe und Klarheit zu schenken, wie sie nur von der Kontemplation in unserer Göttin oder der Lust des Kampfes übertroffen wird. Doch mich ins Gebet zu vertiefen, vermag ich nun nicht, und nichts lieber würde ich jetzt tun, als mein Schwert im Namen der Göttin zu erheben, und darf es doch nicht, denn bei aller Rechtschaffenheit, dieser demütige Diener der Herrin RONdra wäre anmaßend, zu wünschen, allein die entsetzliche Verderbtheit dieses verseuchten Landes hinwegfegen zu können, wo doch allein die Göttin selbst es vermöchte, die Besudelung dieses hassenswerten Ortes hinfort waschen zu können.
All diese Abscheulichkeiten können nicht ungesühnt bleiben. Jetzt aber bleibt mir nichts, als darum zu beten, die Göttin möge mir die Weisheit zuteilwerden lassen, den rechten Moment zu erkennen, in dem es in all dem Unheil ringsum gilt, mich als ihr Schwert hervorzutun und mich zugleich mit der Stärke zu rüsten, wenn es soweit ist, nicht zu versagen. RONdra, ich bin Dein Schwert, führe mich mit Deinem starken Arm, auf dass ich nicht fehl gehen möge.
Am Morgen ließ der Kapitän die Mitglieder des Expeditionstrupps antreten, um letzte Instruktionen auszugeben. Im Anschluss ließ er sich von Finjan und mir über den Stand unserer Ermittlungen in Kenntnis setzen. Angesichts des ausgebliebenen Erfolges steht zu hoffen, dass wir mit unserer Einschätzung richtig liegen, den Verräter in den Reihen des Expeditionskorps zu haben.
Wie dem auch sei, wenn unserer Unternehmung Erfolg beschieden ist, werden wir in einem Monat an Bord der Seeadler von Beilunk zurückkehren, voll beladen mit Endurium. Darüber hinaus gab Rateral Sanin uns zusätzliche Befehle der KGIA weiter. Wenn möglich sollten wir nicht nur die Lage der Endurium-Mine genau dokumentieren, sondern möglichst genaue Karten der Insel Maraskan anfertigen, die bisher großen Seltenheitswert besitzen.
Das waren keine geringen Aufgaben, die uns womöglich zu diesem Zeitpunkt weniger beschäftigt hätten, hätten wir da schon gewusst, wie schwierig es bereits werden würde, aus Boran wieder heraus zu gelangen.
Die Hafenstadt war schon am Horizont auszumachen, die Seeadler lief mit den vollen, neu aufgezogenen Segeln, besudelt mit den verderbten Zeichen, die bereits vor drei Tagen gesetzt worden waren, darauf zu.
Es war an der Zeit, genau so unsere Erscheinung anzupassen.
In der Gewandung meines Ordens Boran zu betreten, stand außer Frage, obwohl doch gerade dieser Ort so dringend des Lichtes meiner Herrin bedurfte. Nicht einmal im Reisegepäck konnte ich es wagen, Wappenrock oder Luchskopf mitzuführen. Allein Sturmbund würde von den Insignien meines Glaubens an meiner Seite bleiben, denn mein Namensschwert abzulegen, ist undenkbar. Und ohne den sicheren Griff des Schwertes an meiner Seite wäre es kaum zu ertragen gewesen, nun auch noch in den mit Symbolen der Schande befleckten Überwurf unserer Feinde zu schlüpfen.
Als ich den Wappenrock bei jenen meiner Habseligkeiten verstaute, die auf der Seeadler von Beilunk blieben, da fragte ich mich, ob ich tatsächlich zurückkehren würde, um ihn wieder anzulegen und RONdra erneut zu dienen, wie allein es würdig ist, oder ob ich auf Maraskan sterben würde, in den Schatten statt unter dem Banner unserer Göttin.
Eine solche Möglichkeit war mir nie zuvor in den Sinn gekommen.
So liefen wir in Boran ein, eine vage sichelförmige Stadt auf einer Landzunge mit einer wehrhaften Zitadelle. Allein durch Verrat war die Stadt seinerzeit gefallen, nun aber fest im Würgegriff der Feinde, Paktierer und Dämonen. Der Kriegshafen, den wir passierten, ließ daran keinen Zweifel zu. Zahlreiche Kriegsgaleeren lagen dort vor Anker und gleich einer Spinne in ihrem Netz ragte zwischen ihnen eine Dämonenarche von gut 75 Schritt Länge unter dem Segel von Helme Haffax auf. Widernatürliche Gestalten schoben sich über das Deck, doch ehe Gelegenheit war, sie näher in Augenschein zu nehmen, waren wir schon vorbei und kamen in den zivilen Hafen.
Hier drängte sich die Stadt selbst viel stärker in den Vordergrund, wie sich in Maraskan überhaupt alles lautstark in den Vordergrund zu drängen scheint. Natürlich gab es am Hafen die übliche Ansammlung von Lagerhäusern, Tavernen und Spelunken, weiter in der Stadt aber bemerkte man sogleich diese auffallenden Turmbauten, nicht gerade wenige, die anscheinend sogar über Brücken miteinander verbunden waren. In der Ferne sah ich überdies eine merkwürdige Ansammlung von Schiffen, die nicht einordnen konnte. Doch auch im Hafen gab es eine Vielzahl von Schiffen unterschiedlichster Größe. Während wir am Kai anlegten, schlug der Lärm der Stadt uns bereits entgegen. Boran schien bestrebt, dem Lärm auf den Straßen Gareths alle Ehre zu machen.
Der Expeditionstrupp stand bereit, sofort an Land zu gehen. Kaum war die Planke heruntergelassen, schritt ich daher auf das Männlein zu, das uns erwartete, in dem Bemühen, einen möglichst würdevollen und eindrucksvollen Anblick zu bieten. In einem Duktus, von dem ich annahm, dass man ihn hier erwarten würde, tischte ich ihm unsere erfundene Geschichte auf und händigte ihm das von mir erstellte Dokument aus. Nicht nur dieses gab nun Anlass zur Besorgnis, denn offenbar hatte ich den angemessenen Tonfall nicht recht getroffen, doch wer soll auch wissen, was solche Menschenschinder für Gespräche führen. Jedenfalls stieg das Männlein daraufhin auf das Deck der Seeadler.
Für uns waren die Formalitäten vorbei.
Wir tauchten in den Dschungel Maraskans ein.