Womöglich nie abgesandt
Mein Herz Thalionmel,
ich schreibe Euch diese Zeilen von meinem Krankenbett in Vallusa aus.
Seid unbesorgt, bald schon bin ich wieder ganz auf den Beinen, was sehr wohl wörtlich zu verstehen ist.
Am gestrigen Tag wurde ich vor den Toren Vallusas auf der Vallusanischen Weiden von einem Weißen Hetzer überrascht. Nie zuvor stand ich einem dieser Scheusale gegenüber und kann mir nicht erklären, was er soweit hier oben im Norden macht. Zu meinem Unglück bekamen zwei seiner Köpfe meinen linken Oberschenkel zu packen, und wäre es nur ein Stückchen weiter rechts gewesen, hätten wir es wahrlich mit einer Tragödie zu tun. So aber muss ich lediglich fürchten, dass Ihr mein fortan recht hässliches Bein nicht mehr in die Näher Eures sehr heimeligen Badezubers lassen wollt.
Einmal mehr rettete Finjan mein Leben mit eben so viel Geschick wie Tollkühnheit und Sturheit. Sollte Euch in Eurem Herzen nur irgendetwas an mir liegen, so werdet Ihr einst Finjan einen großen Dank sagen müssen, wenn ich zu Euch zurückkehre. Mein Mangel an Glück wird durch seine Unbekümmertheit stets aufgewogen.
Meine Liebste, nun bin ich endlich heimgekehrt, nach fünf langen Jahren. Ich hatte nie die Gelegenheit, Euch von meiner Familie zu berichten. Da werde ich Euch Manches zu berichten haben. Lasst mich jetzt nur sagen, dass ich mich vor nichts mehr gefürchtet habe, als vor dieser Rückkehr an den Ort meiner Geburt, den ich nie im Guten verließ. Doch zumindest mein ältester Bruder Silberhardt war so froh und stolz, mich wohlbehalten wieder zu sehen, und versteht, dass ich diesem meinem Weg folgen musste. Er ist Geweihter im vallusanischen INGerimm Tempel, müsst Ihr wissen. Ihr würdet ihn mögen, Thalionmel, und ich hoffe, eines Tages werde ich Euch einander vorstellen können.
Wir haben einen langen Abend miteinander verbracht, in Gesellschaft von Finjan und unserer Schiffszimmerfrau Leta. Zu meiner großen Verwunderung mochte er sie auf Anhieb beide sehr, ganz besonders Finjan, dabei ist er sonst eher zurückhaltend, wenn er jemandem zum ersten Mal begegnet. Wir haben viel geredet, oben auf dem Feuerturm. Im Feuer habe ich dort erkannt, dass ich nicht nur hier in Vallusa, allem zum Trotz, das war, noch Familie habe, sondern auf dieser Reise zugleich eine neue Familie gefunden habe. Dieser sture bornländische Neersander ist mir mindestens so sehr ein Bruder, wie jedes meiner Schwertgeschwister, und Leta, mit der wir nun auch schon eine ganze Weile reisen und manches Abenteuer erlebt haben, ist, wie ich zu meiner eigenen Überraschung entdeckt habe, mir fast zu so etwas wie einer kleinen Schwester geworden. Ich möchte sie nur ungern missen auf unserer Reise.
Die Stadt, an die ich mich erinnere hingegen, liegt heute im Schatten der Schwarzen Lande. Die Ordensburg der Adariten am gegenüberliegenden Flussufer ist vom Feind genommen, das Schwarze Eis hält Vallusa in seinem Würgegriff und die Menschen in der überfüllten und unterversorgten Stadt sind verwahrlost, ohne Stolz, Ehre oder auch nur Anstand. Die Zeiten für Vallusa sind hart. Es schmerzt mich, dies zu sehen.
Die Wunden, die meiner Stadt beigebracht wurden, werden länger brauchen, um zu heilen als meine eigenen. Als ich auf den Vallusanischen Weiden verblutend im Schnee lag, trat aus all dem gleißenden Weiß um mich herum mein Bruder Elkwin auf mich zu, der vor fünf Jahren an eben jenem ort sein Leben in der Schlacht verlor. Er starb, ohne dass ich wusste, dass er da war. Nun trat er neben mich, kniete sich an meine Seite und legte mir seine Hand auf die Schulter. „Schön, dass Du gekommen bist, Bruder“, sagte er zu mir, zufrieden lächelnd. „Es ist Zeit, Lebewohl zu sagen.“ Mühsam tastete ich nach seiner Hand. Er griff die meine und hielt sie fest. „Jetzt geh, kleiner Bruder, sie warten auf Dich.“ Ich sank in den Boden, der keine Festigkeit mehr hatte. Elkwin blieb über mir zurück. Bald waren unsere Arme fast zu kurz, uns noch an den Händen zu halten. „Lass los, Oberin. Lass los, Du bist jetzt alt genug.“ Er nickte mir aufmunternd zu. Da öffnete ich meine Hand und ein kräftiger Wind ergriff mich und trug mich fort. Elkwin verschwand in der Ferne aber auf einmal konnte ich mich daran erinnern, wie er ausgesehen hatte, was ich in all den Jahren nie gekonnt hatte. „Grüß unseren großen Bruder von mir“, hörte ich ihn noch ein letztes Mal ganz nah bei mir. Da legte mich der Wind in meinem Bett im Haus Drachenstein ab und da war Silberhardt, der beunruhigt in die Flammen des Kamins starrte, Finjan der sein Schwert polierte, Leta, die meine Hand hielt und unser munterer Steuermann Yelmiz, der wie üblich ein feines Liedchen zu summen wusste.
Es gibt den einen oder anderen Menschen, der fehlt und eine liebliche Elfe, die ganz gewiss fehlt, und dennoch, allerliebste Thalionmel, ich bin nach Hause gekommen.
Oberin Sturmbund
2.FIRun 33 Hal
Liebste Thalionmel,
trotz meiner euphorischen Worte zuvor, die gut und gerne meinem Delirium entsprungen sein mögen, ist dies in mancherlei Hinsicht erneut eine harsche Heimkehr, die meine von dunklen Gedanken, schweren Erwartungen nicht enttäuscht hat.
Es gibt so viel, das Euch zu erzählen ich noch keine Gelegenheit hatte. Hier sei jetzt vorab nur so viel gesagt:
Als ich meinen Vater vor fünf Jahren hier zurückließ, da sagte er mir, sollte ich jetzt gehen, brauchte ich nie wiederzukehren, ob tot oder lebendig.
Dennoch hatte ich mich entschieden, ihm gegenüber zu treten, um die Dinge nicht so stehen zu lassen. Mein erstes Zusammentreffen mit ihm war dann unbeabsichtigt. Auf unserem Weg zum EFFerd Tempel trat er vor uns aus seinem Laden. Ihr müsst wissen, er ist der beste Uhrmacher an der Ostküste. Ich grüßte ihn, er hätte mich sonst wohl kaum bemerkt. Er hatte kaum ein Wort für uns übrig. Auch während der Messe sah ich ihn, doch da hatte ich keine Zeit, mich um persönliche Angelegenheiten zu kümmern. Ich hatte mir vorgenommen, ihn zu gegebener Zeit in seinem Laden aufzusuchen. Am Nachmittag tat ich dies, nachdem wir alles für unsere Aufgabe hier in Vallusa vorbereitet hatten. Leta und Finjan nahm ich mit mir. Finjan war sichtlich eingenommen von der Uhrmacherwerkstatt meines Vaters und mein Vater seinerseits schien ein reges Interesse an Finjan zu hegen. Mich hingegen ignorierte er, nachdem er seine Frage vom Mittag wiederholt hatte, was ich hier wolle. Ich ließ ihn gewähren, bis er und Finjan ihren Handel um eine Uhr auf einen späteren Zeitpunkt vertagt hatten. Doch ich wusste, warum ich hergekommen war. Ich sagte ihm, dass ich kam, um die Dinge zwischen uns zurechtzurücken, doch er erklärte mir, zufrieden zu sein damit, wie die Dinge stehen. Damit wollte er mich aus seinem Laden werfen. Aber ich sagte ihm, dass ich nun mein eigener Mann sei, ganz so, wie mir im TRAvia Tempel geraten worden war. Mein Vater jedoch wollte einfach nicht zuhören. Darum begehrte ich zu erfahren, ob es ihm denn vollkommen gleichgültig sei, dass sein Bruder verschollen, höchst wahrscheinlich ums Leben gekommen ist, ob es denn gar nichts zu reden gäbe; da warf er mich endgültig hinaus und ich ging. Und wie die Tür hinter mir zufiel – na ja, vielleicht traf sie stattdessen auch Finjan -, so ist für mich hiermit diese Angelegenheit abgeschlossen. Wenn mein Vater zufrieden ist, soll´s mir recht sein. Ich weiß, was ich zu tun habe, und ich werde nicht länger vor ihm kriechen. Ich bin kein Kind mehr! Ich habe seine Anerkennung nicht nötig und werde mich nicht mehr von seinen Zornausbrüchen gängeln lassen! Soll er doch hier in Vallusa allein mit Silberhardt bleiben. Ich habe Wichtigeres zu tun. Ich muss einen Krieg führen. Ich werde meinen Onkel finden oder jedenfalls das, was von ihm auf Dere übrig ist.
Ich habe es versucht. Den nächsten Versuch soll mein Vater unternehmen. Oder ich will wirklich tot für ihn sein.
Oberin Sturmbund
2.FIRun 33 Hal