Der Erste Brief an Thalionmel

Am 11. Efferd 1026 BF einem Richtung Havena reisenden Händler ausgehändigt

Liebste Thalionmel, so schmerzlich Entbehrte,

Euer Anblick auf diesem Kai, an dem ich Euch zurücklassen musste, geht mir nicht aus dem Sinn. Zu jeder Zeit habe ich Euch vor Augen. So sehr mich Euer Erscheinen am Morgen unseres Aufbruchs erfreut hat, so sehr blutet mir zu jeder Stunde mein Herz, denn ich sehe Euch dort stehen, in wilder Schönheit, wie Ihr mir entschwindet, weil ich fort muss.

Ein Blutopfer an meine Herrin RONdra ist es, Euch zu verlassen, so bald nachdem wir einander begegnet sind. Ein Blutopfer fürwahr und fast ein Frevel, denn wir in der Senne des  Nordens halten es für eine Sünde, so oft Blut zu vergießen, dass es uns schwächt. Und wie sehr schmerzt es mich, fortzugehen, ohne das Privileg auskosten zu dürfen, Euch näher kennenzulernen. Da ist Euer so liebreizendes Gesicht, eingerahmt von Eurem schönen Haar, das im Winde flatter, benetzt von den ersten Sonnenstrahlen des jungen Morgens, doch Ihr gleitet von mir fort.

Unser guter Kapitän Sandström hat mich zum Bordgeweihten ernannt. Dies ist das erste Mal, dass ich die alleinige Verantwortung für eine Gemeinde trage. Zumal unter der Mannschaft kaum einer der Göttin RONdra in besonderem Maße zugetan ist. Die Gruppe Thorwaler an Bord erleichtert mir meine Aufgabe nicht gerade, angesichts Finjans mir weiterhin unerklärlichen Abneigung gegen diese Landsleute. Ihr müsst wissen, der Kapitän hat Finjan angetragen, die Stelle des Ersten Offiziers an Bord anzunehmen, doch seine Abscheu, die Thorwaler auch nur zu kommandieren, verbaut ihm den Weg, seiner Berufung zu folgen. Für mich selbst betrachte ich es als Herausforderung, diese widerstreitenden Charaktere an Bord zu einer Mannschaft zu formen – denn auch einige weitere unzugängliche Charaktere befinden sich an Bord.

Unter diesen Umständen war klar, wie wichtig meine erste Predigt vor diesen Menschen – denn in der Tat sind sie alle Menschen – sein würde. Viel Zeit blieb mir nicht, mich darauf vorzubereiten und das Bangen darum, die rechten Worte zu finden, ließ mich aufgeregt werden.

Heiß brennt das Feuer der Schlacht in mir, in dem meine Göttin mich zu ihrer Klinge schmiedet, nur wie sollte ich diesen Funken in den Herzen dieser Fremden entfachen, wie ihren Sinn öffnen, um es hinein zu tun, damit wir zu einem Schwerte in der Hand der Sturmleuin werden?

Ich will Euch gern gestehen, es war der Gedanke an Euch, Thalionmel, die lebhafte Erinnerung an den leidenschaftlichen Schlag Eures Herzens an meiner Brust und die Zartheit Eurer Haut, die mir die ausgleichenden Worte eingab, die Balance, die ich finden musste, zwischen dem Feuer der Schlacht, das uns erwartet, und dem Leben, das wir führen, für das wir streiten.

Ich hätte mir nie etwas anderes erhofft, als den Tod auf dem Schlachtfeld im Dienste RONdras, während ich eine Tat vollbringe, die es wert ist, forterzählt zu werden. So war es immer, seit ich dem Orden beigetreten bin. Aber nun bin ich Euch begegnet, Thalionmel, Schönste aller Elfen.

Ich muss meiner Göttin dienen, doch ich will Euch wiedersehen, meine Liebste. Hat nicht die Göttin selbst mich zu Euch geführt, wo Ihr doch den Namen einer Schwertheiligen tragt?

Als ich auf dem Deck des Schiffes stand und das Trankopfer ins Meer goss, da spürte ich, wie die Göttin an meine Seite trat und auch Euch fühlte ich an meiner Seite, Thalionmel.

Und die Worte, meine Worte, fanden den Zuspruch der Mannschaft, des Kapitäns und RONdras, denn ein Sturm zog auf und Blitze spalteten den Himmel. Ich liebe den Sturm wie ich die Göttin liebe – leider bin ich noch nicht sehr seefest.

An Bord befindet sich eine Akolythin meines Glaubens. Nach meiner Predigt kam sie zu mir und begehrte,mehr zu erfahren. Ich glaube, es ist an mir, mich ihrer anzunehmen, besonders angesichts dessen, was an jenem Tage noch geschah.

Denn viel eher als wir alle es geglaubt haben, hat unser Kampf begonnen.

Es mag sein, dass Ihr bald Kunde von der Schlacht um Burg Draustein am 10.EFFerd 33 Hal erhaltet, dann wisst, dass ich es war, der die Truppen in der Schlacht und bei der Rückeroberung geführt hat, mit dem tapferen Finjan stets an meiner Seite. Nicht eine Handvoll Schlachten habe ich erlebt, die größer waren. Unsere tapfere Mannschaft hat ihre Feuerprobe bestanden und ich bin nun gewiss, gelangen wir erst ins Perlenmeer, werden wir bereit für die Gefahren sein, die uns dort erwarten.

Tatsächlich fuhren wir zufällig vorbei, als die Häuser vor der Burg brannten, und auf mein Anraten befahl der Kapitän, der bedrängten Besatzung Beistand zu leisten. Der Kampf auf dem Feld tobte wild, als wir eintrafen, und wir warfen uns mitten hinein. Wir hätten diese abscheulichen Orks sicher besiegt, wären uns nicht ihre Verstärkungen in den Rücken gefallen und hätten die Burg im Handstreich genommen. Kein Offizier der Garnison hatte die Feldschlacht überlebt, so kam es, dass ich den Befehl übernahm.

Wir haben diese Unzahl widerlicher Orks eine große Schlacht geliefert, als wir das Tor nahmen und die Festung erstürmten. Finjan ist ein prachtvoller Kämpfer. Gemeinsam werden wir in RONdras Diensten viel vollbringen!

Fast schäme ich mich, es zuzugeben, doch inmitten der Schlacht ward Ihr mir ganz nah, geliebte Thalionmel. RONdras Blut wallte in mir und dem Ruf meiner Göttin muss ich folgen. Ich muss, begreift Ihr? Wir müssen all jenen Beistand und Schutz gewähren, die ihrer bedürfen.

Währet Ihr selbst in Not –möge RONdra dies verhüten – und könnte ich selbst dann nicht bei Euch sein, um an Eurer Seite zu stehen, wie sehr würde ich darum beten, dass jemand käme, für Euch zu streiten!

All meine Stärke muss im Dienste der guten Götter und der wohlmeinenden Bewohner Aventuriens stehen.

Und doch – und darin findet Ihr den Grund meiner Scham, Herrin – vor Beginn des Sturms auf das Burgtor, da geschah Seltsames mit mir. Zum – ja, zum ersten Mal in meinem Leben erfuhr ich Angst vor dem Kampf; nicht vor dem Tod, schon gar nicht vor dem Schmerz, sondern davor, zu sterben und Euch an diesem Kai zurückzulassen, wartend und hoffend, ohne Euch wiederzusehen.

Herrin Thalionmel, ich kann keine großen Gefühle von Euch einfordern, und vermag ich selbst schon zu erfassen, was Ihr mir bedeutet? Doch sollte für Euch der Zauber unserer Begegnung bereits verflogen sein, so lasst es mich alsbald wissen, dann vermag ich vielleicht wieder, ruhigen Gewissens meiner Göttin zu dienen, wenn die Wunden, die Eure heißen Küsse mir geschlagen haben, nicht bereits zu tief sind.

Einen Moment zögerte ich vor der Schlacht beim Gedanken an Euch, fast einen Moment zu lange. Falls es also keinen Grund dafür gibt, so erlöst mich von dieser Herausforderung, der ich womöglich nicht gewachsen sein kann. Macht, dass ich wieder furchtlos bin und RONdra wohlgefällig, bar dieser Qual. Im Widerhall der Schlacht lässt RONdras Ruf mein Blut rauschen und feurig entbrennen. Die Erinnerung an Euren warmen Körper, den Duft Eurer Haare und die süßen Spitzen Eurer Ohren zwischen meinen Fingern lassen mich erahnen, Ihr tragt Etwas in Euch, das meine Leidenschaft noch heißer auflodern zu lassen vermöchte. Bis Eure Worte mir also anderes bescheiden, wird es fortan meine größte Herausforderung sein, RONdra gefällig zu dienen in all den Schlachten, die da kommen und Euch dennoch wiederzusehen, Thalionmel.

Ich wünschte, mir bliebe mehr Zeit, Euch zu schreiben – nein, ich wünschte, ich wäre bei Euch, damit Ihr mit mir sprechen könntet.

Doch soll Euch dieser Brief bald erreichen, muss ich mich sputen, ihn aufzugeben. Wir haben Landgang, und ich kann nicht sagen, wie oft diese Gelegenheit kommt. Alles, was ich weiß, ist, dass wir zunächst nach Gareth reisen, wo wir eine Weile Aufenthalt haben werden, um mehr Truppen anzuheuern. Von dort wird es zunächst zu Fuß weiter in Richtung Perlenmeer gehen.

Liebste Thalionmel, Ihr bleibt auf diesem Kai und gleitet von mir fort. Aber in der Dunkelheit fand ich mich in Euren Armen wieder, wie wir uns im Tanze wiegten. Und als ich fortgezogen wurde, da lagen  Eure starken Arme um mich und hielten mich an diesem Kai, wo Euer rabenschwarzes Haar um mich flatterte und Eure weichen Lippen mich in Wonne küssten.

Dieser Kai muss meine Hoffnung sein, dass Ihr nicht von mir fortgleitet und mir uns dort eines frohen Tages wiedersehen.

Hoffend,

Euer ergebener Oberin Sturmbund von Vallusa zu Rhodenstein

Chand`Jarra, 11.EFFerd 33 Hal

Schreibe einen Kommentar