Gespielt am: 19. Oktober 2019
Zu Gast im Wipfeldorf der Muakiji Marasna müssen die Offiziere Oberin, Finjan und Geron einen Plan über ihr Vorgehen in der Endurium Mine fassen. Die Stunden schmelzen dahin und die Stimmung wird immer hitziger.
Stundenlang redeten wir uns die Köpfe heiß, wälzten Ideen und sprachen über das Für und Wider. Wie sollten wir auf das Gelände gelangen? Heimlich bei Nacht die Hänge hinunter oder gedeckt durch einen Scheinangriff mit brennenden Baumstämmen von den Hängen hinunter, um die Wachtruppen herauszulocken? Und wie wieder mit dem Endurium heraus gelangen, über die Brücke durchbrechen, wieder die Hänge hinauf oder es zu einem Trupp in der Schlucht hinunter lassen? Wie das Endurium überhaupt finden, in Besitz nehmen und transportieren?
Jede Strategie, die einer von uns vorschlug, entpuppte sich in der Diskussion als mit schwerwiegenden Problemen behaftet. Die Stimmung wurde wieder gereizt, als würden wir wieder durch den Dschungel marschieren. Eines aber wurde klar, einen offenen Kampf konnten wie niemals überleben. Die Vielzahl der Unwägbarkeiten und Hindernisse drückte auf die Stimmung. Wir mussten stets unser Ziel im Sinn behalten, so viel Endurium an uns zu bringen und fortzuschaffen, wie möglich. Ein heimliches Vorgehen blieb unsere einzige Zuflucht, darin stimmten wir überein, doch gerieten wir darüber erst recht in Streit, denn die Pläne, die Finjan nun zu entwerfen begann, und denen Geron beipflichtete, liefen darauf hinaus, die Wachen hinterrücks zu erschlagen, ja sogar alle vergiften wollte der Leutnant!
Da waren wir wieder in diesem blutroten Dschungel auf dieser verfluchten Insel, dabei uns ganz und gar selbst zu verlieren, zu vergessen, wer wir waren und wider alles zu handeln, was die Göttin uns vorgibt! Diesmal konnte ich das nicht hinnehmen, diesmal würde ich den Fehler von Boran nicht wiederholen, also sprach ich mich ganz vehement gegen diese Taktiken aus. Wenn wir keinen offenen Kampf wagen konnten, mussten wir den Kampf soweit möglich ganz meiden und, wo unumgänglich, handeln wie Krieger!
Erstaunlicherweise war es nicht Finjan, der mir am heftigsten widersprach. Er war sogar bereit, meine Weigerung, an solch einer Unternehmung beteiligt zu sein, hinzunehmen.
Es war Geron, der meine Gegenrede nicht ertrug. Er nahm den Schleier von seinem Gesicht fort, mit dem er es üblicherweise bedeckt hält. Ein solcher Zorn hatte sich in seine Züge gebrannt, wie ich es nie zuvor bei ihm gesehen hatte. In diesem Moment erinnerte er mich sehr an Viburn. Jetzt wurde es wirklich hitzig. Finjan versuchte in seiner üblichen, die Konfrontation mit sich selbst und anderen vermeidenden Weise, das Streitgespräch erst beiseite zu schieben, und dann zu unterbinden; doch sein Versuch, die Planung fortzusetzen, als sei nichts geschehen, ignorierten sowohl Geron als auch ich. Hier standen Vorwürfe im Raum, die man nicht auf sich beruhen lassen konnte. Geron drang unablässig auf mich und meine Position ein und ich war nicht bereit, einfach so zurückzuweichen. Rede und Gegenrede wurden scharf und kraftvoll geführt, auf Angriff folgte Parade, Gegenangriff und Gegenparade. Ein Duell mit Worten war es, schonungslos und verbissen geführt, doch mit offenem Visier von Angesicht zu Angesicht. In diesem Punkt hat Geron weit mehr die Tugend eines RONdra Kriegers an den Tag gelegt, als ich es bei Finjan je erlebt habe. Trotzdem, harte Worte wurden gewechselt, wir schrien uns an und plötzlich bat Geron den Leutnant, uns zu entschuldigen und ging einfach aus der Hütte hinaus. Das geschah an dem Punkt, an dem ich von der theoretischen Diskussion der Prinzipien der RONdra Kirche und deren Auslegung dazu überging, den Vorfall Boran zur Sprache zu bringen, bei dem sich gezeigt hatte, welche Folgen es mit sich brachte, unsere Prinzipien schleifen zu lassen. Ich bin nicht sicher, warum er gerade da hinaus ging. Wollte er Finjans Ansehen in der Mannschaft schützen? Wollte er ein Zerwürfnis der Offiziere vermeiden? Oder tat er es, weil er – anders als Finjan – verstand, was geschehen war und warum ich es nicht ertragen konnte? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mein Herz erleichterte, diesen Streit mit Geron auszutragen, wenn Finjan sich dem schon verweigerte. Ich weiß nicht, wie Geron das macht, das Unheil der Tat zu begreifen und dennoch einfach weiterzumachen, nicht aus Ignoranz, sondern … zum Wohle Aventuriens. Den Worten, die er über der Karte der Endurium Mine sprach, zum Trotz steigt mein Respekt vor diesem Krieger immer mehr, auch wenn ich viele seiner Ansichten so nicht zu teilen vermag. Noch nicht. Denn letztlich … wie kann das nicht einem Verrat an unserer Ehre gleichkommen, aber was unsere Mission angeht, hat Geron … er hat nicht unrecht. Im direkten Kampf können wir nicht siegen, und wir sind nicht nur dem Wohl der uns unterstellten und anvertrauten Männer und Frauen verpflichtet, wir sind dem Reich und sogar Aventurien verpflichtet, das Mal der Schande, das die Schwarzen Lande auf Dere bedeuten von ihrem Antlitz zu tilgen. Das verlangen unsere Befehlshaber und das entspricht auch dem Willen der Göttin. Das in einem sinnlosen Akt der tugendhaften Beispielhaftigkeit zu vertun, entspräche nicht den Befehlen, nicht den weltlichen noch den göttlichen. Ich muss gestehen, dass mir zuletzt die Argumente ausgingen, die ich noch gegen Gerons offene Worte anführen konnte. Ich will nicht alle seine Worte als gerechtfertigt bezeichnen, doch zumindest die zentrale Bedeutung eines Erfolges unserer Unternehmung zur Schwächung unseres Feindes kann ich nicht bestreiten und die Unmöglichkeit diesen Erfolg mit offenem Visier zu erringen, nicht leugnen. Und nur wir sind nun hier und auch, wenn ich vielleicht nicht hier sein sollte, ich bin es und nicht genügend andere. Darum entspreche ich Gerons Bitte, an der Mission weiter teilzunehmen. Denn was das für mich auch bedeuten mag, kein wahrer RONdrianer lässt seine Gefährten in der Stunde der Not im Stich. Geron – und Geron scheint erstaunlich gut zu begreifen, was in mir vorgeht – sieht in mir einen Mann, der Großes zu Wege zu bringen vermag, wenn er nur … wenn er den Sinn der Worte mehr achtet, als die strenge Form in die sie gegossen wurden. In einem uralten, bruchstückhaft erhaltenen Text las ich einst: Der Buchstabe bringt den Tod aber das Wort erhält das Leben. Daran musste ich denken. Aber ich sehe das jetzt nicht. Gewiss, großer Taten bin ich fähig, aber den oder das, was Geron sieht, da weiß ich nicht, wie das zugehen soll, wie ich der sein soll. An diesem Tag kommt Geron mir mehr wie ein Bruder vor, als Finjan es je war. Ein strenger, älterer Bruder, dem ich in Zwistigkeit gegenüberstehe, dessen Wohlmeinen aber außer Frage steht. Und nein, ich glaube nicht, dass die Göttin sich von ihm abgewandt hat. Nur wie? Wie bewahrt man seine Ehre, wenn man nicht an den gesetzten Prinzipien festhält? Wie dient man Idealen, in einer Welt, die keine Tugend achtet. Wie dient man Idealen … Idealen … Idealen? Weißt Du die Antwort, Bruderschwester?